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Wenn die Sponsoren im Klassenzimmer den Ton angeben

Unternehmen drängen in die Schulen. In Affoltern referierte am Elternabend eine Swisscom-Referentin.

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In Unterrichtsmaterial, an Anlässen oder auf Geschenken platzieren Unternehmen ihre Werbebotschaften. Das Ziel: Kinder, Jugendliche und deren Eltern zu beeinflussen. Auch bundesnahe Betriebe nutzen die Plattform zu Werbezwecken – und zur politischen Meinungsmache.

Wie wärs mit einem Schulsporttag? Zelte, Sonnenschirme, Startnummern, Ablaufpläne oder Diplome werden gratis geliefert. Die Jugendlichen messen sich im 60-Meter-Sprint, im Weitsprung oder in der Teamstafette, und am Schluss erhalten alle Kinder zwei Franken – und eine Dächlikappe mit dem Schriftzug «UBS Kids Cup» als Erinnerung.

In Erinnerung bleiben. Von der Dächlikappe auf dem Kopf in den Kopf des Kindes gelangen, das sei eines der Ziele, wenn Unternehmen solche Anlässe sponsern, sagt Markenexperte Stefan Vogler. «Eine Marke wird gekauft, wenn sie im Bewusstsein der Kundschaft verankert ist.» Für die Unternehmen sei es finanziell am lukrativsten, diese Kundenbeziehung sehr früh – am besten bereits in der Kindheit – aufzubauen und sie dann möglichst ein Leben lang zu pflegen.

«Wir stellen seit einigen Jahren eine Zunahme an Sponsoring-Angeboten fest», sagt Franziska Peterhans, Zentralsekretärin beim Schweizer Dachverband der Lehrerinnen und Lehrer. Für die Unternehmen könnte der Moment nicht günstiger sein: Die Schulen stehen unter grossem Spardruck, gleichzeitig nehmen die Schülerzahlen zu. Lehrpersonen klagen über eine stetig wachsende Arbeitsbelastung, derweil verlangt die Digitalisierung nach Fachwissen und neuer Infrastruktur. Hier springen private Firmen gerne in die Bresche. Sie liefern stufengerecht aufbereitetes Unterrichtsmaterial, bieten kostenlose Lektionen in ihrem Fachbereich, sponsern iPads, Laptops oder eben: einen Schulsporttag.

Auch halbstaatliche Firmen werben mit

Längst haben auch halbstaatliche Unternehmen das Potenzial im Bildungsbereich erkannt. Die Elektrizitätswerke des Kantons Zürich (EKZ) pflegen seit 13 Jahren ein kostenloses Programm für Schulen. Auf Wunsch besuchen speziell ausgebildete Studierende die Primar- und Sekundarschulklassen im Kanton Zürich. Das Angebot ist beliebt: Gemäss Geschäftsbericht haben 2018 rund 220 Klassen das Angebot genutzt, ausserdem wurden 21000 Schulagenden verteilt. Mit Logoaufdruck und «nützlichem Wissen zu Energiethemen». Auch die Schweizerische Post stellt Unterrichtsmaterial zur Verfügung. Als Alleinaktionärin von «Postfinance» möchte sie den Schülerinnen und Schülern allerdings nicht nur die Welt der Briefe und Pakete näherbringen, sondern auch den Umgang mit Geld.

Wirtschaftspsychologe Christian Fichter hält diese Form von Lobbying für fragwürdig. «Dabei wird eine Kundschaft bearbeitet, die sich gegen die Beeinflussungsversuche nicht wehren kann.» Der Schweizer Dachverband der Lehrerinnen und Lehrer hat inzwischen reagiert. Im November 2016 hat er eine Charta und einen Sponsoring-Leitfaden vorgestellt, die er mit einer Gruppe von Unternehmen, Stiftungen und Verbänden erarbeitet hat. Damit sollen sich die Unterzeichnenden auf verbindliche Verhaltensregeln einigen. So müssen Unterrichtsmaterialien «politisch und weltanschaulich» ausgewogen sein, und auch Logoplatzierungen sind tabu. «Kinder sind keine Werbesäulen», so Franziska Peterhans. Bis heute haben rund 50 Unternehmen unterzeichnet.

Swisscom sponsert das Internet – auch an zehn Schulen im Säuliamt

Auch Swisscom engagiert sich im Bildungsbereich. Seit 2002 offeriert man Schulen einen kostenlosen Internetanschluss, 6000 profitieren schweizweit. Auch im Säuliamt: Hier nutzen alle Schulen das Angebot – ausser in Aeugst, Bonstetten, Mettmenstetten und Rifferswil. In den letzten Jahren hat sich das Angebot von Swisscom vergrössert. Sicherheitslösungen, kostenlose Leihgeräte, Occasions-Computer, Drucker oder Server. Aber auch Hilfstools wie ein digitales Klassenbuch, das den Alltag strukturieren soll oder eine Anwendung für Videokonferenzen gehören zum Angebot. Darüber hinaus will Swisscom mit Medienkursen und Unterrichtsmaterialien «den verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Medien vermitteln.»

Lehrperson hat den Auftritt nicht als Werbung erlebt

Am 5. November hat die Primarschule Affoltern (PSA) einen Elternabend zum Thema «Kinder und digitale Medien» für die 3. und 4. Primarschulstufe organisiert. Als Referentin war eine freie Mitarbeiterin von «Lernnetz» eingeladen. «Lernnetz» unterstützt Unternehmen in der Aufbereitung ihrer digitalen Lerninhalte – auch Swisscom gehört zu den Kunden. «Wir wollten eine Person, die das Fachwissen zum Umgang mit digitalen Medien neutral vermittelt», sagt Andreas Matter, ICT-Verantwortlicher an der PSA. Das Referat von «Lernnetz» sei kostenpflichtig, werde aber von der Swisscom finanziell unterstützt.

Als neutral hat Florian Bissig, dessen Kinder an der PSA unterrichtet werden, den Vortrag jedoch nicht erlebt. Er war über die Inhalte des Referats irritiert: «Die intensive Nutzung von digitalen Medien wurde als normale, zeitgemässe Entwicklung dargestellt, mit der es sich als Eltern zu arrangieren gilt.» Vorbehalte dagegen seien von der Referentin nicht ernstgenommen worden. Sie habe erklärt, Neue Medien seien immer schon übertriebenen Ängsten und Abwehrhaltungen ausgesetzt gewesen. «Warnende Stimmen aus der Lernforschung und Entwicklungspsychologie bezeichnete sie wörtlich als Fake News und Stimmungsmache», sagt Florian Bissig. Er hätte sich eine ausgewogene, kritische Informationsveranstaltung gewünscht. Für ihn ist unverständlich, dass man Swisscom, deren Geschäftsmodell auf der Digitalisierung aufbaut, als Referentin an eine Volksschule einlud und ihr derart unwidersprochen die Bühne überliess.

«Die Unternehmen nützen ihr ‹Dutti-Image› aus»

Andreas Matter sagt, die PSA werde die Rückmeldungen zum Elternabend auswerten und dann entscheiden, ob man die Medienkurse in dieser Form beibehalte. Er kann sich vorstellen, an künftigen Elternabenden selber zu referieren, kann die Kritik jedoch nur teilweise nachvollziehen. Er war an der besagten Veranstaltung anwesend und sagt, er habe das Referat nicht als Werbeauftritt erlebt. Zwar sei das Logo auf den projizierten Folien präsent gewesen, doch der Name Swisscom sei nur in der Einleitung gefallen.

Christian Fichter überrascht diese Optik nicht. Gerade staatsnahe Betriebe würden das «Dutti-Image» – den gemeinnützigen Charakter, den man ihnen zuschreibe – zu ihrem Vorteil nutzen. Referate und öffentliche Auftritte werden gerne als Dienst an der Allgemeinheit dargestellt. Stattdessen platzierten diese ihre Werbebotschaften und betrieben Lobbying: «Die Unternehmen verfolgen damit ausschliesslich eigene wirtschaftliche Interessen.» Dieser Vertrauensvorschuss sei oftmals nicht nur ungerechtfertigt, er führe im Übrigen auch zu einem Nachteil für die anderen Marktteilnehmer und damit zu einem Ungleichgewicht im Wettbewerb.

Broschüre rät: Eltern sollen ihre Einstellung zum «Game-Sport» ändern

Nach dem Elternabend hat Swisscom mit den Kindern der 3. und 4. Primarschulstufe den Kurs «Ab ins Internet» durchgeführt. Darin sollen die Schülerinnen und Schüler lernen, das Internet kompetent zu nutzen, Chancen und Risiken von Bildschirmmedien kennenlernen oder ihre eigene Mediennutzung reflektieren. Parallel dazu wurde den Eltern an jenem Abend Informationsmaterial abgegeben mit denselben Inhalten. Auch ein Medienratgeber zu den Chancen und Risiken digitaler Medien war erhältlich. In einer Broschüre zum Thema «E-Sport» heisst es, der Mensch entwickle seine Fähigkeiten vor allem über das Spiel und brauche dieses für seine eigene Sinnfindung. Dazu wird das Erklärungsmodell des «Homo ludens», des spielenden Menschen, vorgebracht. Darin gibt ein Nachwuchs-«E-Sportler» Tipps: «Nehmt eure Kinder und Schüler ernst, wenn diese E-Sportler werden wollen.» Dazu gehöre es, die passende Ausrüstung zu finanzieren: «Eine gute Internetverbindung ist sehr wichtig.» Eltern sollten ihre Einstellung zum Gaming ändern, schlägt er vor: «Wenn Sie Besuch einladen und Ihr Sohn in seinem Zimmer trainiert, sagen Sie nicht: ‹Er ist in seiner Höhle› (...), sagen Sie: ‹Er ist am Trainieren.›»

Studienergebnisse werden zum eigenen Vorteil interpretiert

Games würden auch Chancen bieten, heisst es weiter. Wenn das Spiel gut laufe, schütte das Hirn das Glückshormon Dopamin aus, dadurch wachse das Gehirn, es entstünden neue Nervenverbindungen. Ausserdem habe eine französische Hirnforscherin festgestellt, dass ausgerechnet die teils umstrittenen Action-Games das Ab-straktionsvermögen erhöhen und die Konzentrationsfähigkeit steigern würden. Dem widerspricht Christian Fichter: «Forschungen belegen, dass Spiele in der Regel weder positiv noch negativ Effekte auf das Gehirn haben.» Es sei nicht angebracht, Studienergebnisse umzudeuten und in solch «offiziösem Rahmen» zu präsentieren. Umso mehr sollten Schulen sich gut überlegen, wem sie eine Plattform bieten wollen – im Unterricht, aber auch an Elternabenden.

Die Primarschule Affoltern verschickt demnächst einen Elternbrief. Darin wird auf die Gefahren und Bedenken von elektronischen Medien hingewiesen. Ebenfalls aufgeführt ist eine Linksammlung mit Tipps – zusammengestellt von der Swisscom-Referentin.

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