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Das ADL-System offenbart seine Schwächen

Im Jahr 2016 hat die Primarschule Obfelden komplett auf «Altersdurchmischtes Lernen» umgestellt. Nun hat die Fachstelle für Schulbeurteilung (FSB) die Schule im Sommer 2020 überprüft. Von der individuellen Lernbegleitung zeichnet sie ein fragwürdiges Bild. Auch die Qualitätssicherung und -entwicklung werden kritisiert.

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Seit November 2020 liegt der Primarschule Obfelden ein 59-seitiges Papier vor, das die Schulbehörde bis vor Kurzem wie einen Schatz gehütet hat. Es wurde nicht veröffentlicht, durfte nicht kopiert und auch nicht fotografiert werden. Nur auf der Schulverwaltung konnte es eingesehen werden – unter Aufsicht.

 

Bei dem Dokument handelt es sich um den Evaluationsbericht, den die Fachstelle für Schulbeurteilung (FSB) im vergangenen Herbst zuhanden der Primarschule Obfelden erstellt hat. Sie hat den Auftrag, die Qualität der Volksschulen im Kanton Zürich aus pädagogischer und fachlicher Sicht zu überprüfen und die Schulen bei der Sicherung und Entwicklung ihrer Unterrichts- und Schulqualität zu unterstützen. Administrativ ist die FSB der Bildungsdirektion angegliedert, fachlich ist sie unabhängig. 


Bewertung knüpft am Positiven an
Jede Schule wird im Fünf-Jahres-Rhythmus evaluiert. In Obfelden fand das mehrmonatige Prozedere zuletzt zwischen März und September 2020 statt. Dabei wurden Schülerinnen und Schüler, Lehrpersonen, Eltern und Mitglieder der Schulbehörde schriftlich und mündlich befragt. Ausserdem fanden diverse Unterrichtsbesuche statt.

 

Das Evaluationsteam hat die Primarschule Obfelden in neun Bereichen geprüft: Schulgemeinschaft, Unterrichtsgestaltung, individuelle Lernbegleitung, Sonderpädagogische Angebote, Beurteilung der Schülerinnen und Schüler, Schulführung, Qualitätssicherung und -entwicklung, Zusammenarbeit mit den Eltern und schliesslich die Lehr- und Lernarrangements.
Die Fachstelle für Schulbeurteilung verstehe sich als Dienstleisterin für die evaluierten Schulen, sagt Isabelle Stöckly, die stellvertretende Leiterin der FSB. «Die Ergebnisse sollen die Schulen anregen, Weiterentwicklungen in Angriff zu nehmen.» In den Berichten stehe ein wertschätzender Grundton im Vordergrund, bestätigt sie: «Wir knüpfen bei unserer Bewertung an positive Punkte an, benennen kritische Punkte aber auch durchaus klar.»


In mehreren der neun ausgewerteten Bereiche stellt der Bericht Mängel fest. So zum Beispiel in der individuellen Lernbegleitung oder bei den Lehr- und Lernarrangements. Auch von der Schulführung (vgl. Fronttext) sowie von der Qualitätssicherung und -entwicklung zeichnet das Evaluationsteam ein durchzogenes Bild. 

 

«Ausrichtung am Leistungsvermögen der Kinder ist nicht gegeben»
Aufgrund unterschiedlicher Klassengrössen hat die Primarschule Obfelden Ende der 90er-Jahre ihre ersten beiden ADL-Klassen eingeführt. Ab 2006 führte sie sieben ADL-Klassen, und per Sommer 2016 stellte sie sämtliche Klassen um. Diese setzen sich in der Unterstufe aus Erst- bis Drittklässlern und in der Mittelstufe aus Viert- bis Sechstklässlern zusammen. Das ADL-System besteht aus mehreren Bausteinen, die nach und nach etabliert werden sollen. Dazu gehört auch der «Plan». Bei diesem arbeiten die Kinder mit einem Hilfsstundenplan und teilen ihren Lernstoff selbstständig ein. Die Integration dieser Unterrichtsform sei erfolgreich verlaufen, schreibt die Schule auf ihrer Website. Es handelt sich dabei um einen Entwicklungsschwerpunkt der Schule aus dem Schuljahr 2019/2020.

 

Zu einem anderen Ergebnis kommt die Fachstelle für Schulbeurteilung in ihrem Bericht. Sie hält die Gestaltung des Planunterrichts für «nicht optimal»: Die Arbeitspläne seien fast immer so aufgebaut, dass die Kinder innerhalb eines Jahrgangs die gleichen Aufgaben abarbeiten würden. «Stärkere Schulkinder haben kaum die Möglichkeit, Basisaufgaben wegzulassen. Eine gezielte Differenzierung nach Lernstand steht nicht im Vordergrund», schreiben die Experten. Eine Ausrichtung am Leistungsvermögen der Schulkinder sei nicht gegeben.

 

Schulentwicklung ohne Projektpläne
Auch vor die Pläne, wie die Schule ihren Unterricht weiterentwickeln will, setzen die Experten ein Fragezeichen. Die Schule setze eine «überschaubare Anzahl bedeutungsvoller Entwicklungsziele». Obwohl beim Baustein «Plan» dem individuellen Lernstand der Kinder noch zu wenig Rechnung getragen wird, habe die Schule das Ziel als erreicht definiert. Das führt die FSB darauf zurück, dass Projektgruppen und Projektpläne mit präzisen Zielen und Meilensteinen in der Primarschule Obfelden nicht vorhanden seien und «ein verbindliches Vorgehen für die Zielüberprüfung» nicht etabliert sei. Die Art, wie die Schul- und Unterrichtsentwicklung stattfindet – vorwiegend in Weiterbildungen im ganzen Team oder an Entwicklungs­tagen und später in pädagogischen Teams – bezeichnet der Bericht als «nur teilweise zielführend».

 

Arbeits- und Lerntechniken: keine einheitliche Systematik erkennbar
Auch bei der «zielorientierten Unterrichtsgestaltung» schlägt der Bericht teils kritische Töne an. Die Lernziele würden selten kommuniziert, geschweige denn am Ende der Lektion überprüft. Innerhalb der etablierten ADL-Bausteine sei «ein breites Methodenrepertoire insgesamt wenig verbreitet». Auch hier wird bemängelt, dass kaum Platz für individuelle Förderung sei: «Einige Schülerinnen und Schüler wünschen sich, dass sie von den einfachen Aufgaben manchmal weniger machen müssen.»

 

Befürworter sehen im System des Altersdurchmischten Lernens eine Chance, dass Kinder von der Lehrperson darin angeleitet werden, im eigenen Tempo und dem individuellen Lernstand entsprechend selbstständig zu forschen und zu lernen. In Obfelden vermisst das Evaluationsteam einen gezielten Aufbau solcher Lerntechniken: Die Kinder würden im Unterricht zwar «ausgesprochen eigenständig» arbeiten, und die Zustimmung unter den Schulkindern zu dieser Form von Eigen- und Lernverantwortung sei hoch. «Allerdings gibt es keine einheitliche Systematik, wie die Lehrpersonen die Vermittlung von Arbeits- und Lerntechniken (…) gezielt angehen.» 

 

Ähnlich tönt es bei der Lernreflexion: Einzelne Lehrpersonen würden diese zwar fördern, «fest verankerte Gefässe, welche die Schülerinnen und Schüler befähigen, über ihre Lernwege und -strategien nachzudenken, sind nur vereinzelt im Einsatz.» 


Schulpflege, Schulleitung und Schulverwaltung wollten zu den Ergebnissen des Evaluationsberichts keine Stellung nehmen. Auch die Fachstelle für Schulbeurteilung äusserte sich nicht zum Inhalt ihres Berichts.

Dieser Beitrag ist am 6. Juli 2021 im Anzeiger aus dem Bezirk Affoltern erschienen. Ein PDF mit dem vollständigen Bericht und einem Kommentar ist hier zu finden.
 

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