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«Ich kann dieses Kleid nicht kaufen, weil ich keine Tränen in den Augen hatte»

Serie «Sag mal, ...?»: Boutique-Inhaberin Annika Isenegger-Meister über Herausforderungen beim Brautkleid-Kauf.

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Im November 2018 hat Annika Isenegger-Meister in Affoltern ihre eigene Boutique eröffnet. Seither berät sie Bräute auf der Suche nach ihrem Traumkleid. Der Druck, bei der eigenen Hochzeit perfekt auszusehen, ist gross.

Die Idee eines eigenen Geschäfts kam Annika Isenegger-Meister bei den Vorbereitungen ihrer eigenen Hochzeit. Sie war auf der Suche nach einem Kleid, wünschte sich kein klassisches Modell und merkte: Das ist gar nicht so einfach. In der Kollektion von «Rosa Clará» fand sie schliesslich, wonach sie gesucht hatte, allerdings war es gar nicht so einfach, diese spanische Marke in der Schweiz überhaupt zu kaufen. «Warum», fragte sich Annika Isenegger-Meister im Februar 2018, «mach ich das eigentlich nicht selbst?» Dann ging alles ziemlich schnell: An der Merkurstrasse im Zentrum von Affoltern stiess sie kurz darauf auf ein leeres Lokal, blickte durchs Schaufenster und war sich sicher: Das ist es! Im April kaufte sie in Barcelona ihre erste Kollektion ein, kündigte schliesslich ihren Job als Finanzchefin und eröffnete im November 2018 ihre Boutique «Brautkleid-Träume». Seither unterstützt die 41-Jährige Frauen auf der Suche nach dem Kleid für ihren schönsten Tag.


«Anzeiger»: Wie finden zukünftige Bräute den Weg zu Ihnen?

Annika Isenegger-Meister: Auf meiner Website finden die Kundinnen von jedem Kleid, das in meinem Laden hängt, ein Foto. Meistens klicken sich die Frauen durch die Galerie, und wenn ihnen der Stil meiner Brautmode gefällt, dann buchen sie einen persönlichen Beratungstermin.


Sie schreiben, in Ihrem Geschäft werde die Brautkleid-Anprobe zum «VIP-Event». Wie läuft ein solcher Termin ab?

Normalerweise plaudern wir nach der Begrüssung zuerst ein bisschen, damit ich die Braut näher kennenlernen kann. Ich frage zum Beispiel, ob es eine kirchliche Trauung gibt oder eine freie Zeremonie, oder ich erkundige mich, in welchem Rahmen die Gesellschaft feiert.


Und dann gibts ein Gläschen Prosecco.

Genau, danach biete ich den Gästen ein Getränk an. Prosecco, Kaffee, Wasser oder Tee. Dazu gibts Süssigkeiten zum Naschen, als Nervennahrung für die Begleitpersonen. In der Zwischenzeit kann sich die Braut die Kleider nochmals in aller Ruhe durchsehen, und ich berate sie und mache ein paar Vorschläge. Manchmal geben die Frauen ihre Favoriten auch schon bei der Buchung des Termins an, jene Kleider markiere ich dann vorab mit einem Herzchen – für die Anprobe.


Sie unterstützen die Braut in der Umkleidekabine beim Anziehen des Kleids. Worüber reden Sie in diesem intimen Moment?

Manchmal bietet sich die Gelegenheit, um noch etwas mehr über das Paar zu erfahren. Vielleicht frage ich dann: «Wo habt ihr euch kennengelernt?» Oder: «Hat er dir einen Antrag gemacht?  Wie wars denn?»


Möchten Frauen heute noch, dass der Mann um ihre Hand anhält?

So weit ich das mitkriege, schon. Oftmals beschliessen Paare zwar gemeinsam, dass sie heiraten wollen, doch viele Frauen wünschen sich trotzdem einen Antrag. Mit Ring und Tränen und Rosen. Das volle Programm eben.(lacht).


Hatten Sie auch schon Kundinnen, die ihrem Partner den Antrag gemacht haben?

Ja, auch das hatte ich kürzlich. Ich habe sie dann gefragt, ob sie es gar nicht mehr erwarten konnte, ob es ihr zu lange gedauert hat. Da erzählte sie, ihr Partner sei eher zurückhaltend, nicht allzu romantisch. Vielleicht hat ihm einfach diese eine zündende Idee gefehlt. Wahrscheinlich wollte er etwas Grosses machen, und wusste aber nicht was. Dann hat sie das einfach an Hand genommen.


Wenn das Kleid sitzt – wie gehts weiter?

Manchmal zieht die Braut dann noch Accessoires wie Schmuck oder einen geerbten Schleier an. Es ist auch schon vorgekommen, dass die Trauzeugin Floristin war und vorab schon mal einen Brautstrauss angefertigt hat, um den Look komplett zu machen.


Werden noch andere Dinge zur Anprobe mitgebracht?

Manchmal möchten die Begleiterinnen Häppchen oder eine Flasche Sekt mitbringen, da sage ich dann: «Hab ich da.» Und ich erinnere mich an eine Gruppe, die Fähnchen dabeihatte, auf denen Sprüche wie «Sexy Dress», «Das ist dein Kleid» oder «Das ist mein Favorit» standen. Diese hielten die Begleitpersonen dann hoch, nachdem die Braut über den Laufsteg geschritten war.


Wie viele Begleitpersonen darf die Braut mitbringen?

Maximal vier. Je weniger, desto besser, rate ich jeweils.


Warum?

Weil jede Person eine andere Vorstellung vom «perfekten Kleid» im Kopf hat. Gerade Mütter, die sehr häufig bei der Anprobe dabei sind und manchmal sogar extra eingeflogen werden, stellen sich ihre Tochter gerne als Prinzessin vor. Nicht jede kann damit umgehen, wenn die Braut dann ein hautenges, sexy geschnittenes Kleid bevorzugt.


Haben Sie das schon erlebt?

Ja, es kam schon vor, dass die Mutter eine Wunschvorstellung hatte, die Tochter sich dann jedoch in ein Kleid in einem anderen Stil verliebte. Die Mutter hatte Mühe damit, das zu akzeptieren. Jedes Mal, wenn die Braut hinter dem Vorhang hervorkam, sagte sie: «Steht dir nicht!»


Wie reagieren Sie in einem solchen Moment?

Wenn ich merke, dass die Begleiterinnen schon kommentieren, bevor die Braut sich überhaupt im Spiegel gesehen hat, dann bitte ich darum, mit den Rückmeldungen einen Moment zu warten. Es ist schade, wenn die Braut sich in einem Kleid gefällt, aber den Zuspruch der Mutter oder ihrer Begleiterinnen nicht erhält. Mir ist es wichtig, dass sich die Braut in ihrem Kleid wohlfühlt. Darauf achte ich während er Anprobe: In welchem Kleid strahlt sie, funkeln die Augen, bewegt und dreht sie sich?


Neben uns auf dem Tischchen steht eine Kleenex-Box. Wie oft fliessen Tränen?

Regelmässig. Nicht nur bei der Braut selbst, auch für Mütter, Geschwister oder Trauzeuginnen ist dieser Moment ergreifend.


Die Frau, die sich erstmals in einem weissen Kleid sieht und dann vor Rührung weint. Ein gängiges Klischee.

Der Mythos mit den Tränen beim Hochzeitskleid-Kauf ist tatsächlich verbreitet. In vielen Hochzeitssendungen im Fernsehen brechen die Bräute beim Kauf des Kleids in Tränen aus. Viele Frauen glauben, auch ihnen müsse das bei der Anprobe passieren.


Sie warten auf Tränen?

Tatsächlich habe ich es schon mehrmals erlebt, dass die Braut sagte: «Eigentlich wäre das mein Traumkleid. Allerdings hatte ich bei der Anprobe keine Tränen in den Augen. Ich kann es nicht kaufen.»


Sie machen Witze!

Die Frauen sind mit vielen Klischees konfrontiert und mit Bildern, die manchmal wenig mit der Realität gemein haben. Manche sind enttäuscht, wenn sie im Brautkleid nicht so aussehen wie das Model auf dem Werbefoto. Vielleicht sind sie aber 15 oder 20 Zentimeter kleiner und ihre Proportionen sind ganz anders. Ich finde diese Vergleiche so schade. Für mich ist eine Braut mit Emotionen, auch wenn sie nicht Kleidergrösse 32 oder 34 trägt, so viel schöner als das Model, das einfach seinen Job macht.


Der Druck, bei der Hochzeit «perfekt» auszusehen, scheint enorm zu sein.

Absolut. Die Erwartungen bei manchen Frauen sind sehr hoch. Haare, Make-up, alles muss stimmen. Auch die Figur ist ein Dauerthema. Viele wollen nach der Anprobe noch abnehmen. Da ich spanische Kleider verkaufe, sind die Grössen anders: Eine Frau, die normalerweise Kleidergrösse 38 trägt, hat eine spanische Grösse 40/42. Ich habe es schon erlebt, dass eine Braut sagte, «in Kleidergrösse 40 heirate ich nicht» und den Laden verliess.


Für manche Braut ist das Hochzeitskleid eine Investition. So ein teures Dress will auch richtig getragen werden. Geben Sie Tipps, damit der Auftritt gelingt?

Ja, beim Abstecktermin mit der Schneiderin oder beim Abholtermin raten wir ihnen zum Beispiel, wie sie am besten ins Auto steigen und wann oder wie sie die Schleppe und den Schleier richten sollen.


Und irgendwann ... muss die Braut mal auf die Toilette.

Ein riesiges Thema! Bei Kleidern mit einem Reifrock kann man den Stoff in den Reif legen und ihn hochhalten. Oder man setzt sich verkehrt herum auf die Toilette. Es gibt auch Bräute, die eine Tragtasche zu einer Kleidhalterung umfunktionieren. Bei einem Meerjungfrauen-Kleid wiederum kann es sein, dass der Stoff so eng anliegt, dass er gar nicht über die Hüften passt. In solch einem Fall muss die Braut das Kleid ausziehen. Wenn dann am Rücken noch 30 Knöpfchen angebracht sind, kann das länger dauern.


Auch in der Hochzeitsnacht könnte es länger dauern, bis all diese Knöpfchen geöffnet sind...

Dafür gibts eine Häkel-Nadel.


Eine Häkel-Nadel?

Wir empfehlen der Braut, eine Häkel-Nadel mitzunehmen. Falls der Ehemann die Knöpfchen mit den Händen nicht aufkriegt, klappt das mit der Nadel ganz gut. Wenn nun aber die Braut ein Kleid mit einem Reissverschluss trägt, an dem die Knöpfe nur Deko sind, dann raten wir jeweils, dass die Trauzeugin die Knöpfchen schon mal öffnet, bevor sie geht. Das sieht niemand, aber es macht vieles einfacher.


Haben Sie es schon erlebt, dass ein Kleid im Lauf der Vorbereitung nicht mehr gebraucht wurde?

Ja. Das ist schon vorgekommen. Das tut mir dann natürlich sehr leid. Leider ist es mir nicht möglich, das Kleid zurückzunehmen, weil die Kleider entweder nach Mass angefertigt oder auf die Masse der Braut abgeändert werden.


Was dann?

Bei einer Braut hats dann die Trauzeugin abgeholt. In einem anderen Fall hatte sich das Paar getrennt und die Braut wollte das Kleid natürlich nicht mehr. Ich habe ihr empfohlen, es zu verkaufen. Sie hat es dann abgeholt, und es direkt in ein Second-Hand-Geschäft gebracht.

Dieser Beitrag ist am 1. September 2020 im Anzeiger aus dem Bezirk Affoltern erschienen.

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