LIVIA HÄBERLING
- Journalistin -
Unsystematische und mangelhafte Planung
Was ist los an der Primarschule Obfelden? Mehrere Kündigungen deuten auf eine Eskalation hin. Die Evaluationsberichte zeigen, dass es bei der Führung der Schule seit Längerem Probleme gibt.

In der Primarschule Obfelden haben innert kurzer Zeit sechs Lehrpersonen gekündigt. Die Situation sei eskaliert, sagt eine Person aus dem schulnahen Umfeld. Faktenbasierte Hinweise auf das Innenleben und die Qualität der Schule liefern die Evaluationsberichte der Fachstelle für Schulbeurteilung (FSB) aus den Jahren 2015 und 2020. Sie geben Einblick in eine Zeitspanne von sechs Jahren und liefern Hinweise darauf, dass es in der Schulführung seit Längerem Probleme gibt.
In den Zeitraum zwischen den beiden Evaluationsberichten fällt auch eine Umstellung des Unterrichtssystems: Seit 2016 gibt es an der Primarschule Obfelden ausschliesslich AdL-Klassen (Altersdurchmischtes Lernen), zuvor wurden parallel auch Regelklassen geführt.
2015: Gute Förderung mit niveaudifferenzierten Lernangeboten
Die Primarschule Obfelden erhielt bei der jüngsten externen Beurteilung in einigen Bereichen ein erfreuliches Zeugnis ausgestellt; beispielsweise in der Schulgemeinschaft, in der Unterrichtsgestaltung oder bei den sonderpädagogischen Angeboten. In anderen Punkten stellten die Experten jedoch Mängel fest. So in der individuellen Lernbegleitung oder bei den Lehr- und Lernarrangements. Auch von der Schulführung sowie von der Qualitätssicherung und -entwicklung zeichneten die Experten ein durchzogenes Bild.
Zum AdL-Unterricht mit dem Baustein «Plan» hiess es, die Gestaltung sei «nicht optimal»: Die Arbeitspläne seien fast immer so aufgebaut, dass die Kinder innerhalb eines Jahrgangs die gleichen Aufgaben abarbeiten würden. Eine Ausrichtung am Leistungsvermögen der Schulkinder sei nicht gegeben (im «Anzeiger» vom 6. Juli).
Im Jahr 2015 hatte das Evaluationsteam noch Folgendes bilanziert: «Mit niveaudifferenzierten und offenen Lernangeboten fördern die Lehrpersonen die Schulkinder gut. Die Lernunterstützung geschieht kontinuierlich und vielfältig.» Im Detail heisst es, oftmals würden Unterrichtssequenzen gestaltet, in denen unterschiedliche Anspruchsniveaus berücksichtigt würden. Eingesehene Wochenpläne, so die Experten, seien häufig in drei Niveaus aufgebaut und die meisten Pläne mit zusätzlichen, anspruchsvolleren Übungen ergänzt gewesen. Auch die Arbeit in den AdL-Klassen wurde damals gelobt: Offene Arbeitsaufträge würden den Kindern ermöglichen, in ihrem eigenen Tempo und nach ihren Fähigkeiten zu arbeiten, was in den AdL-Klassen gut zum Ausdruck gekommen sei.
«Kein Qualitätseinbruch»
Auch bei der «zielorientierten Unterrichtsgestaltung» schlägt der neuste Bericht kritische Töne an. Die Lernziele würden selten kommuniziert, geschweige denn am Ende der Lektion überprüft. Innerhalb der etablierten AdL-Bausteine sei «ein breites Methodenrepertoire insgesamt wenig verbreitet». Weiter vermisste das Evaluationsteam in Obfelden einen gezielten Aufbau von Lerntechniken. So gebe es «keine einheitliche Systematik, wie die Lehrpersonen die Vermittlung von Arbeits- und Lerntechniken (…) gezielt angehen.»
Im Bericht von 2015 schreibt das Evaluationsteam: «Die Lehrpersonen strukturieren und organisieren ihren Unterricht stimmig. Sie setzen zielführende und anregende Lehr- und Lernformen ein. Die Schülerinnen und Schüler erhalten einen angemessenen Orientierungsrahmen.» Weiter hiess es, in den meisten besuchten Lektionen hätten die Lehrpersonen ihre Klasse zu Beginn der Stunde über den Ablauf, die einzelnen Unterrichtsschritte und vereinzelt über die Ziele informiert.
Über die Ursachen, die zur Qualitätsverminderung im Unterricht geführt haben, gehen die Meinungen auseinander. Es gibt Eltern und ehemalige Lehrpersonen, die das AdL-System als Hauptgrund sehen und die sich in ihren Befürchtungen bestätigt fühlen, dass viele Lehrpersonen in dieser Unterrichtsform den Bedürfnissen der Kinder zu wenig gerecht werden können. Eine Lehrperson gab an, dass das AdL-System nicht der Kern des Problems in Obfelden sei.
Die Primarschule Obfelden schreibt in ihrer Stellungnahme: «Von einem ‹Qualitätseinbruch› kann keine Rede sein. Die Fachstelle für Schulbeurteilung hat sehr fundierte Leistungen erbracht und in allen Qualitätsbereichen das Entwicklungspotenzial aufgezeigt, was der gesamten Schule zugutekommt. Die Schulführung kann auf ihren Stärken aufbauen und ihre Schwächen beheben.» Die Schulentwicklung finde statt, die Schulleitung sei daran, einen Massnahmenkatalog für alle Qualitätsbereiche zu erstellen. Dieser Massnahmenkatalog solle fundiert sein und werde deshalb mit Sorgfalt von der Schulleitung geschrieben, bevor er der Schulpflege vorgelegt werde.
Frühzeitige Planung ist entscheidend
Für eine erfolgreiche Systemumstellung auf AdL sind gemäss der Pädagogischen Hochschule Zug mehrere Punkte entscheidend. Auf organisatorischer Ebene brauche es, wie immer bei Entwicklungsprojekten, eine Projektstruktur. Mit welchen Etappenzielen und in welchem Tempo dieses Projekt zu erreichen ist, sei abhängig von der jeweiligen Schule und ihren Rahmenbedingungen, deshalb sei eine Bedarfserhebung wertvoll, um zu eruieren, wie das Ziel AdL am besten erreicht werden kann. Weil solche Entwicklungsprojekte normalerweise neben dem Tagesgeschäft laufen, sei es wichtig, genügend Zeit für die Projektplanung und -umsetzung vorzusehen und für die Projektleitung genügend personelle Ressourcen bereitzustellen. Einer der entscheidendsten Punkte für eine erfolgreiche Umstellung auf AdL sei jedoch, dass für alle Beteiligten klar sei, mit welchen Absichten (strukturelle oder pädagogische Ziele) dieser Systemwechsel erfolge. Dass die Lehrpersonen hinter dem Projekt stehen können, sei ebenso wichtig wie die frühzeitige Information und Aufklärung der Eltern und der Öffentlichkeit.
Entscheid über die Köpfe hinweg
Als die Schulpflege Obfelden ihre Absicht bekannt gab, die gesamte Schule auf AdL-Unterricht umzustellen, kamen ihr gemischte Reaktionen entgegen. Während einige Eltern sich über die Umstellung freuten, meldeten andere Zweifel an. An einer Informationsveranstaltung im Oktober 2014 äusserten mehrere Eltern Bedenken, es formierte sich die IG Obfelden AdL. Einen offenen Brief, in dem Bedenken zum geplanten Wechsel angesprochen wurden, unterzeichneten 210 Personen.
Die Eltern kritisierten auch, dass Schulpflege und Schulleitung die Lehrpersonen bei der Entscheidfindung nicht einbezogen hatten. Dass es wichtig sei, dass die Lehrkräfte AdL mehrheitlich mittragen, war aber auch dem damaligen Co-Schulleiter Hans-Ruedi Holzer klar. An der Informationsveranstaltung sagte er, nicht alle seien mit dem Entscheid einverstanden, entsprechend werde es unter Umständen auch Wechsel geben.
Manche blieben, weil sie vom Konzept AdL überzeugt waren und sich damit wohlfühlten. Andere wechselten, weil sie befürchteten, mit der neuen Unterrichtsform durch anhaltende Überlastung in ein Burnout zu laufen.
Der damalige Co-Schulleiter Kaspar Oettli sagte an der Informationsveranstaltung 2014, primär hänge der Erfolg von AdL von den Lehrpersonen ab. AdL sei in Obfelden organisch gewachsen, deshalb sei die breite Einführung von AdL nicht ein Experiment, sondern eine konsequente Weiterführung des eingeschlagenen Kurses.
Umstellung wurde nicht systematisch geplant
Die Fachstelle für Schulevaluation besuchte die Primarschule Obfelden im zweiten Halbjahr 2015. Damals befand sich die Schule in der Vorbereitung auf die Umstellung, die sie nach den Sommerferien 2016 umsetzen wollte. Im Evaluationsbericht schreiben die Experten: «Für das Schuljahr 2015/2016 wurden die Ziele des laufenden Schulprogramms zurückgestellt und die Bemühungen und Ressourcen ausschliesslich in die Vorbereitung der anstehenden Umstellung des Schulsystems investiert.»
Trotzdem kommt das Evaluationsteam zum Schluss: «Die Schule verfolgt ihr zentrales Ziel ‹Umstellung auf AdL› wenig auf gemeinsame Ziele ausgerichtet und nicht systematisch.» Im Bericht heisst es, sowohl auf Leitungsebene als auch auf der Ebene der pädagogischen Teams würden strukturierende und zielorientierte Projektbeschriebe fehlen. «Eine Bedürfnisanalyse oder eine sorgfältige Planung der einzelnen Entwicklungsschritte (…) liegen nicht vor.» In Interviews gaben Mitarbeitende damals zu Protokoll, dass ihnen für ein «effizientes und effektives Arbeiten» eine notwendige und unterstützende Orientierung fehle.
«Der AdL-Unterricht wurde stetig professionalisiert»
Die Fachstelle hat gegenüber den Schulen kein Weisungsrecht. Sie unterstützt die Schulpflege und die Schulleitung in ihren Bestrebungen, eine gute Schul- und Unterrichtsqualität zu erreichen. Der Evaluationsbericht dient den Verantwortlichen auch als Grundlage für operative und strategische Führungsentscheide. Auf Wunsch zeigt die Stelle mögliche Entwicklungsschritte auf. Die Umsetzung liegt im Ermessen der lokalen Schulbehörde. Welche Empfehlungen sie damals erhalten hatte, schreibt die Primarschule Obfelden nicht.
Sie schreibt, die Lehrpersonen seien genügend auf die Umstellung vorbereitet worden, mittels Weiterbildungen, Infoveranstaltungen und regelmässiger Veranstaltungen mit Fachexperten. Weiter heisst es: «Schulleitung und Lehrpersonen haben in den vergangenen Jahren mit dem AdL-Buch von Edwin Achermann und Heidi Gehrig gearbeitet und die Autorin und Fachexpertin Heidi Gehrig und andere AdL-Experten mehrmals an Schulentwicklungstagen eingesetzt. Die Schulleitung hat in der AdL-Unterrichtsentwicklung in der Planung aktuelle und bedürfnisorientierte Entwicklungsschwerpunkte gesetzt, was zu einer stetigen Professionalisierung des AdL geführt hat.»
Lückenhafte Strategiepapiere von der Schulpflege durchgewunken
Ziele, die aufgrund des Evaluationsberichts neu formuliert oder geschärft werden, können kurzfristig in das Jahresprogramm aufgenommen werden, ein Papier, das die strategische Ausrichtung der Schule auf kürzere Sicht festlegt. An der Primarschule Affoltern werde diese Praxis so gelebt, sagt Claudia Spörri, Präsidentin der Schulpflege. Die Primarschule Obfelden erklärt auf Anfrage, sie habe kein separates Jahresprogramm, die Jahresplanung sei Teil des Schulprogramms.
Im Schulprogramm hält eine Schule üblicherweise ihre längerfristigen Ziele fest. Das Volksschulamt schreibt auf seiner Website zum Schulprogramm: «Mit diesem legt jede Schule im Rahmen eines über vier oder fünf Jahre laufenden Zyklus fest, welche Qualitätsziele sie erreichen möchte, welche Massnahmen dafür ergriffen werden und wie das Erreichte überprüft wird.»
Die Primarschule Obfelden schreibt, Entwicklungsempfehlungen der FSB würden in das Schulprogramm einfliessen. Wie die Empfehlungen aus der Beurteilung 2015 übernommen wurden und wie die damalige Schulleitung die weitere Etablierung des AdL-Systems geplant hat, wird aus dem Schulprogramm 2017–2021 nicht ersichtlich. Dort ist AdL zwar als einer von vier zentralen Punkten aufgeführt. Jedoch sind nur Stichwörter notiert – und keine Qualitätsziele, Massnahmen oder Messverfahren, wie es das Volksschulamt für das Schulprogramm eigentlich vorsieht. Die Schulpflege hat das Schulprogramm am 11. Juli 2017 genehmigt. Sie schreibt dazu: «Die Schulentwicklung nimmt Bezug auf den aktuellen Entwicklungsstand des AdL. Seit der Einführung des gesamtschulischen AdL wurde die Planung flexibel gehalten, weil die Primar Obfelden zuvor zwei unterschiedliche Modelle hatte und somit nicht alle Lehrpersonen den gleichen Wissensstand über das AdL hatten. Das erforderte in der Planung Flexibilität. Die Schulleitung klärte die Bedürfnisse bei den Lehrpersonen ab und plante rollend Schritt für Schritt weiter. In den letzten vier Schuljahren ist es gelungen, die Wissensstände anzugleichen und das AdL einheitlicher umzusetzen.»
Die Primarschule Obfelden erachtet die Einführung des AdL-Systems als erfolgreich.
Dieser Beitrag ist am 9. Juli 2021 im Anzeiger aus dem Bezirk Affoltern erschienen. Ein PDF mit dem vollständigen Bericht ist hier zu finden.