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Plötzlich stehen alle drauf

Stand Up Paddling liegt seit ein paar Jahren im Trend. Wie kam es dazu?

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Was macht es so reizvoll, mit Board und Paddel über das Wasser zu gleiten? Unterwegs mit zwei Fans am Türlersee.

D a s sind sie?


Die Bretter, die für meine Freundinnen seit ein paar Wochen die Welt bed-... pardon; Bretter sind das ja gar nicht, was die beiden auf ihren Rücken über den Kiesweg schleppen. Es sind zwei bunte, zusammengefaltete Kunststoff-Schläuche. Theater haben wir trotzdem. Verstaut sind die Dinger in einer Rucksack-Tasche, die der Kleineren bis in die Kniekehlen reicht. Die gesamte Ausrüstung wiegt knapp zehn Kilo. Damit sei das «ein sehr leichtes Board», hatte der Hersteller versprochen. Zum Wasser sind es für die beiden, nachfolgend Fan 1 und Fan 2 genannt, noch 800 Meter. Sie schreiten und plaudern, sie schlendern und atmen, sie schlingern und keuchen, sie stoppen – und schimpfen: «Mann! Mir drückt hier was in den Rücken!»


Keinesfalls, darauf hatten die beiden Wert gelegt, sei ihre Leidenschaft blosse Entspannung. Vielmehr sei das ein Work-out. «Stand Up Paddling braucht den Einsatz deines gesamten Körpers», dozierte Fan 2, und Fan 1 hatte dem nichts hinzuzufügen. Mit der Gnade des rein beobachtenden Parts lässt sich unterwegs zum Türlersee erahnen, was sie damit meinten.


Früher paddelten die «Beach Boys» ihren Kunden hinterher


Die ursprünglichen Stehpaddler trugen keine Plastikschläuche zum Ufer. Die polynesischen Fischer im Pazifischen Ozean liessen sich auf selbstgebauten Kanus oder auf Holzbrettern auf das Meer hinaustreiben. Zurück gelangten sie, indem sie mit ihrem Paddel gegen die Strömung ruderten. Später, in den 50er- und 60er-Jahren, schipperten Surflehrer auf Hawaii auf ihren Brettern mit einem Kanupaddel über die Wellen, um ihre Schüler besser im Blick zu haben – und um Erinnerungsfotos zu schiessen – ohne wasserdichte Kamera, notabene. «Beach Boy Surfing» nannte man das damals.


Um die Jahrtausendwende änderte sich der Name in «Stand Up Paddling» (SUP), seither wurde die Sportart immer populärer. Plötzlich glitten die Boards auch über See- oder Flusswasser, der Trend erreichte Europa – auch die Schweiz. 2011 gründete eine Gruppe SUP-Begeisterter die Association Swiss Stand Up Paddle («Assup»), einen Verband. Im Juli desselben Jahres veranstalteten sie auf dem Genfersee die erste Schweizer SUP-Meisterschaft. Über 50 Teilnehmende aus der ganzen Schweiz nahmen daran teil, wie die Assup auf ihrer Website schreibt.


Romeo Nagele ging an diesem Wettkampf zwar nicht an den Start, doch auch er stand 2011 bereits auf dem Paddleboard; seit 2012 sogar regelmässig. Auf dem Türlersee sei er damals einer der Ersten gewesen: «Unter der Woche war ich meistens der Einzige, höchstens am Sonntag waren ein paar andere Boards zu sehen.» Seit 2016 vermietet er am See Stand Up Paddles, das Geschäft läuft gut. Für Romeo Nagele ist klar warum: «Das Wasser zieht die Menschen an.» Beim Paddeln erlebe man den See in einer «anderen Dimension», weil man auf der Wasseroberfläche stehe und scheinbar auf ihr gehen könne. Dabei könne man geistig abschalten, zugleich sei jedoch auch Konzentration gefragt: «Der Körper muss sich auf dem Board permanent neu ausbalancieren.»


Ein Paddleboard als Trost für die ruinierte Weltreise


In unserer Gruppe war es Fan 1, die das Stehpaddeln als Erste für sich entdeckte. Wann das war, weiss sie nicht mehr. Sicher ist, dass sie uns dieses Erlebnis nicht vorenthalten wollte. «Gömmer mal zäme go Supe?», fragte sie im Mai 2017 erstmals in den WhatsApp-Chat. Weitere Anfragen folgten. «Luegemer spontan?», antworteten wir anderen jedes Mal. Blöderweise wollte sich das mit dem Spontansein nie so richtig ergeben, Fan 1 supte alleine weiter.


Aber dann wurde es Dezember 2019, Fan 2 verabschiedete sich für acht Monate auf Weltreise. Auf Hawaii paddelte auch sie zum ersten Mal auf einem Board über die Wellen – und war angefixt. Später, auf Fidschi, fand sie heraus, dass im Kern ihrer Seele kein «Head-of-you-name-it», sondern ein «Island Girl» schlummerte. «Ich weiss nicht, ob ich zurückkomme, ich bin so glücklich hier», tippte sie in den Chat.


Nun ja. Alles kommt zurück. Fan 2 landete am 26. März in Kloten. Corona. Nachdem sie ihre zweiwöchige Quarantäne überstanden hatte, belohnte sie sich – natürlich – mit einem Paddleboard. Das traf sich gut, denn auch Fan 1 war das Mieten mittlerweile leid und hatte sich ein paar Tage zuvor ein eigenes SUP gekauft.


Die Preise der Boards sinken


Am Ufer des Türlersee haben die beiden inzwischen ihre Kunststoff-Schläuche ausgerollt, mit einer Handpumpe füllen sie das Board mit Luft. Das zieht sich; eine Viertelstunde dauert die Prozedur. «Pumpst du noch oder paddelst du schon?», witzelt Romeo Nagele, der nur Hardboards vermietet, manchmal über solche Praktiken. Allerdings hat auch er festgestellt, dass das Selber-Pumpen in den letzten zwei, drei Jahren immer beliebter wurde. «Die Preise sind stark gesunken», sagt er. Ein sogenanntes «Inflatable», also ein Board, das vor der Benützung aufgeblasen wird, sei inzwischen für wenige hundert Franken zu haben. «2011 kosteten sowohl aufblasbare Boards als auch jene aus festem Material schnell einmal 1000 oder 2000 Franken.»


Gesamtschweizerische Verkaufszahlen sind nicht erhältlich, und auch die Händler machen um Fragen zu den Umsätzen einen charmanten Bogen. Das Online-Versandhaus Digitec Galaxus führt die Wasserbretter seit 2014 im Angebot. In der Saison 2015 hätten sich die Absatzzahlen bereits verfünffacht und seien seither konstant weitergestiegen, heisst es auf Anfrage. Der Detailhändler SportXX berichtet Ähnliches: «Das Paddleboard hat sich in den letzten Jahren von einem Nischenprodukt zu einem gewichtigen Umsatzträger entwickelt.» 


Auch die Verbände möchten von der Popularität des Sports profitieren


Auch den Verbänden ist die Popularität des Stand Up Paddling nicht entgangen. So vertritt in der Schweiz nicht nur die Assup die Interessen der Paddler – auch der Schweizerische Kanu-Verband nimmt inzwischen Repräsentationsaufgaben wahr. Er führt eigene Wettkämpfe durch und bietet seit 2014 eine SUP-Instruktorenausbildung an. 2017 wurde der Verband von Swiss Olympic als offizieller Repräsentant der Sportart anerkannt. International jedoch ist längst nicht klar, welcher Verband die neuartige Sportart künftig repräsentieren darf: Derzeit muss sich der Internationale Sportgerichtshof mit der Frage befassen, ob das Stand Up Paddling eher dem Surfen oder dem Kanufahren angegliedert werden soll. Sowohl der Surf-Weltverband (Isa) als auch die Internationale Kanu-Föderation (ICF) möchten SUP als eine ihrer Disziplinen wissen. Sollte SUP künftig zu einer olympischen Sportart ernannt werden – im Surfen wären dieses Jahr in Tokio erstmals Medaillen vergeben worden – dürfte die Sportart weiteren Zulauf erfahren.


Stille für Menschen, Hektik für Tiere


Wettkampfgedanken haben Fan 1 und Fan 2 nicht, wenn sie auf ihren Boards stehen. Es sei allerdings schon lässig, dass man dabei Sport mache, ohne es zu bemerken, findet Fan 2. Zugleich zahle sich dieses Work-out aus: Das Paddeln bringe nämlich die Muskeln in eine schöne Form. Abgesehen davon jedoch geniessen die beiden vor allem die Ruhe, die sie auf ihren Paddleboards finden: «In der Stille der Natur kann man wunderbar abschalten», findet Fan 1. Dass man sich dabei lautlos fortbewege, sei besonders entspannend.


Weniger gemütlich finden es offenbar die Wasservögel. Tiere würden die menschliche Silhouette und die Bewegungen der Stehpaddler oft als bedrohlich wahrnehmen, schreibt die Schweizerische Vogelwarte in einer Mitteilung. «Sie können bereits auf einen einzelnen Paddelnden in 1000 Metern Abstand mit Flucht reagieren.» Das wiederum könne ihren Fortpflanzungserfolg beeinträchtigen. Sie hat deshalb in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Umwelt und anderen Organisationen Empfehlungen für Paddelnde herausgegeben, um den Stress der Tiere zu vermeiden.


Nach einer Stunde auf dem Wasser haben Fan 1 und Fan 2 genug. Sie hieven ihre Boards aus dem Wasser, legen sie auf den Steg, öffnen das Ventil. Es brummt, und dann ist das Brett kein Brett mehr, sondern wieder ein schlaffer Kunststoffschlauch. Die Luft ist raus – zumindest für heute.

Dieser Beitrag ist am 29. Mai 2020 im Anzeiger aus dem Bezirk Affoltern erschienen.

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